Die Schweiz riegelt sich ab.
Vor achtzig Jahren verfügte der Bundesrat die sogenannte Grenzsperre über die
Schweiz. Mit der militärischen Abriegelung des Landes versperrte die Schweiz
Tausenden von verzweifelten Flüchtlingen aus dem Herrschaftsbereich der Nazis den letzten, noch erreichbaren Fluchtort. Die Grenzsperre vom 13. August 1942 markiert den Höhepunkt einer restriktiven Schweizer Flüchtlingspolitik während des
Zweiten Weltkriegs. Die Basler Stolpersteine für Rebekka und Johanna Braunschweig,
die im August 1942 aus der Schweiz ausgeschafft werden sollten, rufen dieses menschenverachtende Grenzregime in Erinnerung.
«Wer ein schon stark besetztes kleines Rettungsboot mit beschränktem Fassungsvermögen und ebenso beschränkten Vorräten zu kommandieren hat, indessen Tausende von Opfern einer Schiffskatastrophe
nach Rettung schreien, muss hart scheinen, wenn er nicht alle aufnehmen kann.
Und doch ist er noch menschlich, wenn er beizeiten vor falschen Hoffnungen warnt
und wenigstens die schon Aufgenommenen zu retten sucht.»
So begründete Bundesrat Eduard von Steiger die im August 1942 eingeführte
Verschärfung des Schweizerischen Grenzregimes.
Die Grenzbehörden wurden dazu aufgefordert die Rückweisung «illegal» eingereister
Zivilflüchtlinge rigoroser durchzusetzen, «auch wenn den davon betroffenen Ausländern daraus ernsthafte Nachteile (Gefahr für Leib und Leben) erwachsen könnten.» Aufgenommen wurden einzig «politische Flüchtlinge». Da eine Flucht «nur aus Gründen der Rassenverfolgung» nicht als politische Verfolgung galt, kamen die behördlichen Massnahmen im Sommer 1942 einer Grenzsperre für jüdische Flüchtlinge gleich.
Anlass der fremdenpolizeilichen Weisung waren die (langsam) steigenden Flüchtlingszahlen
im ersten Halbjahr 1942, ausgelöst durch eine neue Welle von Razzien und Deportationen in Nordfrankreich, Belgien und den Niederlanden. Die Behörden waren zu diesem Zeitpunkt über das Schicksal der Deportierten in Osteuropa informiert, auch wenn das systematische
Ausmass der Verbrechen nicht allgemein bekannt war.
Angst vor einer «Überfremdung»
Die Entscheidung der Schweizer Behörden fusste aber auf der Angst vor einer «Überfremdung» des Landes, die seit 1933 durch die im Zuge der nationalsozialistischen
Machtübernahme ankommenden Flüchtlinge erneuten Aufwind bekommen hatte. Sie äusserte sich nicht zuletzt in den restriktiven Aufenthaltsbedingungen für bereits aufgenommene Flüchtlinge. Diese waren unter anderem in ihrer Erwerbstätigkeit
stark eingeschränkt und letztlich zur Weiterreise verpflichtet. Eine dauerhafte Niederlassung war für die wenigsten Flüchtlinge vorgesehen. Wer gegen die Bestimmungen verstiess, riskierte eine Haftstrafe oder gar die Ausschaffung.
Hilfswerke erzielten Teilerfolge
Die Verschärfung des Grenzregimes ging nicht ohne Kritik von statten. Neben dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) intervenierten auch viele christliche Flüchtlingshilfswerke. Die Interventionen zeigten teilweise Wirkung. Auf Ausschaffungen aus dem Landesinneren wurde in der Folge mehrheitlich verzichtet. Ausserdem wurden Härtefälle definiert, die nicht an der Grenze zurückzuweisen waren.
Die antisemitische Politik blieb jedoch mindestens bis Sommer 1944 bestehen.
Wie viele Flüchtlinge an der Grenze abgewiesen wurden, lässt sich nicht mehr exakt rekonstruieren, da viele Akten der Polizeiabteilung vernichtet wurden. Eine weit verbreitete Schätzung geht von rund 25‘000 Rückweisungen aus.
Quellen: Koller Guido, Entscheidungen über Leben und Tod. Die behördliche Praxis in der schweizerischen Flüchtlingspolitik während des Zweiten Weltkrieges. In: Studien und Quellen, 22 (1996), S. 17-106.
UEK Schweiz – Zweiter Weltkrieg, Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus, Band 17, Zürich 2002.
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Die Stolpersteinsetzungen am 23. August 2022 in Basel nehmen Bezug auf Grenzsperre von 1942.
Weitere Materialien stehen auch als Unterrichtshilfen für Lehrpersonen bereit.
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